SCHREIBEN AN MINISTERPRÄSIDENT MARKUS SÖDER

18. März 2021

Lesezeit: 8 Minute(n)


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder!

Anfang 1996 luden der Oberbürgermeister der Stadt Rosenheim, Dr. Michael Stöcker und der Landrat des Landkreises Rosenheim, Dr. Max Gimple, die Stadt Kufstein zu einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Sinne der europäischen Idee ein.
Der Stadtrat der Stadt Kufstein beauftragte mich in meiner damaligen Funktion als Vize-Bürger- meister die Gespräche zu führen. Obwohl ich seit 2011 nicht mehr Mitglied des Gemeinderates der Stadt Kufstein bin, vertrete ich seit der Gründung des Vereins EUREGIO Inntal-Chiemsee-Kaisergebirge-Mangfalltal am 23.11.1998 in Erl, bis heute die Stadt Kufstein. Seit 2017 wieder als Präsident.
Die Präsidentschaft sollte statutengemäß 2020 von Tirol wieder nach Bayern wechseln. Das Virus Covids-19 ließ letztes Jahr keine Übergabe zu, sodass ich, bis das Virus eine Vollversammlung zu Wahl eines neuen Präsidenten, einer Präsidentin zulässt, diese Funktion weiter ausüben werde.
70 Gemeinden aus Bayern und Tirol, die Landkreise Rosenheim und Traunstein, die kreisfreie Stadt Rosenheim, die Bezirke Kitzbühel und Kufstein, die Hochschulen in Kufstein und Rosenheim, das Polizeipräsidium Oberbayern Süd, die IHK München-Oberbayern, die Wirtschaftskammer Tirol und 14 weitere Organisationen sind Mitglieder der EUREGIO Inntal-Chiemsee-Kaisergebirge-Mangfalltal. Das Präsidium besteht aus bayerischen und Tiroler Mitgliedern.
Die regionale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist vielfältig geworden. Das INTERREG-Programm ermöglicht Projekte, die sonst wahrscheinlich nicht zustande gekommen wären. Als Beispiele nenne ich:
IT-Region Salzburg-Rosenheim-Kufstein-Traunstein-Berchtesgadener Land: Standort-Agentur Salzburg, Städte Rosenheim und Kufstein, Hochschulen Rosenheim und Kufstein. „Visit“, Digitaler Strukturwandel für die touristische Inwertsetzung kulturellen Erbes: Universität Passau, Fachhochschule Kufstein, Festung Kufstein, „Veste Oberhaus“ Passau, Stadt Kufstein. „DataKMU“, unter dem Begriff Data Science wird die effektive Nutzbarmachung von Daten durch deren Analyse und Verarbeitung zusammengefasst: Fachhochschulen Kufstein, Kempten, Salzburg, Vorarlberg, Universitäten Salzburg und Passau. Studie zu automatisierten Mobilität in der Grenzregion
Kiefersfelden-Kufstein: Gemeinde Kiefersfelden, DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Fachhochschule Kufstein, Stadt Kufstein.
Zwei „MINT“-Projekte „MINT und Inklusion“, ausgezeichnet mit dem MINT21-Preis und „MINT kreativ“: Grundschulen Rosenheim und Kufstein, Realschule Rosenheim, Mittelschule II Kufstein, Berufsschule Mechatronik Kufstein, Fachhochschule Kufstein, Stadt Kufstein. Bergrettungsnetzwerk Trockenbachtal-Samerberg, Bau eines gemeinsamen Stützpunktes: Bergwacht Rosenheim und Bergrettung Kufstein. „Betreutes Wohnen daheim“: Fortbildungsangebote der Rot-Kreuz-Stützpunkte Miesbach und Kufstein für die Betreuung von Senioren und Seniorinnen. „Soziale Arbeit“: Weiterbildungsangebot der Diakonie Rosenheim und der Fachhochschule Kufstein mit dem akad. Abschluss MBA.
Neubau des „Schmugglerweges“ zwischen Kössen-Maria Klobenstein-Schleching und Bau einer neuen Fußgängerbrücke über die Großache/Tiroler Ache: Gemeinden Kössen und Schleching und TVB Kaiserwinkl. Attraktivität und Imagebildung des Tourismus als Arbeitgeber: Fachhochschulen Salzburg und Kufstein, Chiemgau Tourismus Traunstein und Standortagentur Tirol Innsbruck.
Die EUREGIO Inntal befasst sich mit dem grenzüberschreitenden Verkehr: Finanzierung der Bachelor-Arbeit von Martin Aerbäck zur ÖPNV in der Grenzregion. Unterstützung zur Wiederaufnahme der Buslinien Kufstein-Bayrischzell-Fischbachau als Ganzjahreslinie. Als Sommer-Buslinie: Oberaudorf-Niederndorf-Aschau-Bernau. Planung für eine ÖVPN-Verbindung rund um den Geigelstein: Gemeinden Aschau-Marquartstein-Schleching-Kössen-Niederndorf.
Das 2016 beantragte INTERREG-Projekt E-Mobilität mit Carsharing mit einer Teilnehmerzahl von 40 Gemeinden aus den Landkreisen Mühldorf, Rosenheim und Traunstein und 20 Gemeinden aus den Bezirken Kitzbühel und Kufstein wurde leider vom Bewilligungsausschuss mit der Gegenstimme des Regierungsbezirkes Niederbayern abgelehnt.
Für den Neubau der nördlichen Zulaufstrecke zum BBT-Tunnel setzt sich die EUREGIO Inntal bereits seit 2006 ein. Vorträge dazu fanden mehrere in der Fachhochschule Kufstein, wie auch zum Klimawandel statt. Die EUREGIO Inntal organisierte ab 2006 Besuche von Bürgermeistern an der Baustelle der BBT-Zulaufstrecke im Tiroler Unterinntal. Landrat Josef Neiderhell, damals Präsident der EUREGIO Inntal, hatte sich drei Jahre lang für einen Vertragsabschluss zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit für die BBT-Zulaufstrecke Nord eingesetzt. 2012 erfolgte die Vertragsunterzeichnung im Landratsamt Rosenheim. Das Land Tirol würdigte die Verdienste von Landrat Neiderhell mit der Verleihung des Tiroler Adler-Ordens.
Die EUREGIO Inntal gab den Anstoß zur Masterarbeit: „Die TEN-Achse 1 im europäischen Kultur- und Wirtschaftsraum München-Bozen“. Über die Zusammenhänge von Politik, Wirtschaft und Verkehr wurde hier geforscht.
Publikationen, die von der EUREGIO Inntal selbst herausgeben oder gefördert wurden: EUREGIO Inntal-Kulturführer (2006), Handelsweg Inn (2009), „Bergsinne“ Klettersteigerlebnis Kaiserregion-Chiemgauer Alpen-Kitzbüheler Alpen (2017), Kulturführer EUREGIO Inntal und Silberregion Schwaz (2020).
EUREGIO Inntal Schulmessen: Diese finden abwechselnd an Schulstandorten im Bereich der EUREGIO Inntal statt. Teilnehmer: Grundschulen, Mittelschulen, Berufsschulen, Gymnasien.
EUREGIO Inntal-Preis: Wird an Persönlichkeiten und Organisationen verliehen, die sich in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besonders ausgezeichnet haben.
Hagelabwehr- und Forschungsverein Tirol: Eine Gründung der EUREGIO Inntal und des Hagel- und Forschungsverein Rosenheim
EUREGIO Marien-Wege MARIA BE-WEGT: Eine Vereinsgründung nach einer Idee der EUREGIO Inntal. Wandern und Pilgern auf jahrhundertalten Wegen zu Wallfahrtsorten in Bayern Tirol und Salzburg, die zu Rundwegen mit einer Gesamtlänge von ca. 1000 km zusammengeschlossen worden sind, um unsere abwechslungsreiche und schöne Grenzregion den Einheimischen und Gästen näher zu bringen.
Die sind nur kleine Beispiele für das Wirken der EUREGIO Inntal. Entscheidend ist aber, dass im täglichen Leben für die Menschen die Staatsgrenze nicht mehr spürbar war, bis durch das Virus COVID 19 die Grenzbalken wieder heruntergingen und es wieder ein Dies- und Jenseits gibt. Schmerzhaft verspüren wir die Trennung von lieb gewordenen Menschen und aber auch das fehlende Einkaufserlebnis, den Besuch beim vertrauten Arzt oder im Krankenhaus, den Besuch der Schule oder der Hochschule, einer Kulturveranstaltung und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der NGOs. Wir würden gerne unsere Freunde und Bekannten besuchen, Umarmen und miteinander „ratschen“.
Drei Beispiele, die großes Unverständnis und sogar Verzweiflung durch die Grenzkontrollen hervorrufen: ‚Ein Tiroler Kind wird seit Jahren von einem Arzt aus dem Raum Rosenheim betreut. Die Einreise der Mutter mit dem Kind nach Bayern wird verweigert. Ein 80-jähriger Mann aus Tirol kann seinen Zahnarzt in Bayern nur besuchen, wenn er 5 Tage in Quarantäne geht. Ein Tierarzt und zugleich Bauer aus Kufstein, betreut seit Jahren das Großvieh von Landwirten in Kiefersfelden und Oberaudorf. Ein Bauer ruft den Tierarzt an, weil es einer Kuh elendig geht. Der Grenzübertritt wurde mit der Begründung verweigert, Tierarzt ist kein Mediziner und als Bauer, der keinen Hof in Kiefersfelden hat, darf er auch nicht die Grenze passieren. Das Tierwohl ist in der Grenzkontroll-Verordnung nicht enthalten. Ob die Kuh nach der „Tele-Medizin“ überlebt hat, ist mir nicht bekannt.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder! Sie tragen schon in normalen Zeiten eine große Verantwortung. Das Virus Covid-19 fordert nun fast übermenschlich Ihren persönlichen Einsatz. Ihr Ziel ist klar, das Infektionsgeschehen möglichst schnell einzudämmen und die dazu erforderlichen Maßnahmen in einem akzeptablen Rahmen zu halten. Dabei zeigt sich aber, dass sich die Politik jetzt generell auf einem schmalen Grat bewegt, Dass Zurückfahren des öffentlichen Lebens und die Schließung der Binnengrenze zu den Nachbarstaaten, löst aber Bürgerprostete aus und bringt nicht- demokratiegesinnten Parteien Zulauf und den Regierenden Minuspunkte. Sperren Sie alles auf, dann gibt es Bürgerproteste wegen vieler Toten und als Ergebnis einen Verlust von Wählerstimmen.
Ich bedanke mich für Ihr mutiges Engagement und spreche Ihnen meine Hochachtung aus.
Jetzt komme ich noch mit der Bitte, den Menschen in der Grenzregion der EUREGIO Inntal das Zusammenleben zu erleichtern. Wir testen viel in Tirol. Allein in der Stadt Kufstein gibt es in einer Apotheke, bei den Hausärzten, einer Teststation der Landesregierung und einer der Wirtschaftskammer, das Angebot zum Testen. Vor jedem Besuch beim Arzt, beim Frisör, bei der Fußpflege, bei Firmenbesuchen, Besuch von Familien usw. und vor dem Grenzübertritt (falls man überhaupt darf) ist Testen selbstverständlich ein Muss!
Bei Vorzeigen eines negativen Testergebnisses, auf dem Handy oder mit einer schriftlichen Bestätigung, sollte es ohne zusätzliche Bewilligung durch das Landratsamt möglich sein, die Nachbarn im Grenzbezirk wieder zu besuchen. Darum bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder.
Ich lade Sie nach dem Abklingen der Pandemie sehr herzlich zu einer Wanderung auf dem EUREGIO Marien-Weg M5, gemeinsam mit den Bürgermeistern von Nußdorf, Flintsbach, Oberaudorf, Kiefersfelden, Kufstein, Ebbs und Niederndorf und den Herren Landrat Otto Lederer und Bezirkshauptmann Dr. Christoph Platzgummer, auf dem Teilstück von Erl nach Nußdorf/Maria Kirchwald ein (ca. 10 km). Es wäre sehr schön, wenn Sie Zeit dafür finden würden. Landrat, Bezirkshauptmann und die Bürgermeister würden Ihren Besuch sehr schätzen.
Mobilität, Tourismus, Umwelt/Klima sind auch in der EUREGIO Inntal wichtige Themen. Unser Verein kann diesen Herausforderungen nur ansatzweise gerecht werden, zumal dazu die finanziellen Mittel fehlen.
In einem größeren Rahmen, wie z. B. einem EVTZ, dem z. B. die Landkreise Rosenheim, Traunstein, Berchtesgadener Land, die kreisfreie Stadt Rosenheim, das Land Salzburg und die Tiroler Bezirke Kitzbühel und Kufstein angehören würden, könnte man mehr bewirken.
Beispiel Mobilität: Einheitlicher Tarif für die grenzüberschreitenden ÖVPN-Fahrten von Innsbruck nach Rosenheim, Salzburg und München (Bahn/Bus), wie z. B. im Bodensee-Raum. Abstimmung der Fahrpläne. Ausbau der E-Ladestationen und Carsharing zu gleichen Tarifen. Ausbau der Rad- und Wanderwege, Verkehrs-Informationen direkt an die KFZ zur Vermeidung von Staubildungen und Unfällen.
Beispiel Tourismus: Es gab vor Jahren das Projekt vom „Kaiser zum König“ (von Kufstein zum Chiemsee). Wurde leider zu wenig beworben, deshalb nicht die erwünschte Nachfrage. Tourismus in der bisherigen Form von jährlich steigenden Urlauberzahlen muss sich ändern. Die Qualität muss Vorrang vor der Menge bekommen. Das Angebot beginnt bei der Anreisemöglichkeit bis zum Zielort möglichst mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Natur ist uns größtes Gut. Radfahren, Wandern, Kneippkuren, der Besuch von Almen mit Führern. Der Besuch von Museen und Kulturveranstaltungen usw. kann gemeinsam beworben werden. Die Ausbildungen, der in der Tourismusbranche tätigen Personen, sollen besser aufeinander abgestimmt werden. Große Festspielorte, wie Erl und Salzburg, haben ein Stammpublikum. Kleinere Festspiele und Theaterveranstaltung bieten in dieser Grenzregion werthaltige Kulturangebote an, die einen Vergleich mit anderen Kultur-Regionen nicht zu scheuen brauchen.
Beispiel Umwelt/Klima: Unsere Region liegt an der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung Europas. Dass die Verladung der Güter von Straße auf die Schiene eine Entlastung von Lärm, Staub und Stickoxyden für die Menschen bringen würde, ist bekannt. Die Widerstände im bayerischen Inntal gegen eine neue Bahntrasse sind groß. Hier könnte in der Meinungsbildung für die Zustimmung zum Bau einer neuen Bahntrasse, die mindestens 70 % unterirdisch verlaufen müsste, ein EVTZ mehr als eine EUREGIO Inntal erreichen. Wasserstoffbetriebene LKW sollten gefördert werden, dafür ist der Bau von Produktionsstätten und Tankstellen erforderlich. Autobahnen müssten ab der Grenze bis zur nächsten Ausfahrt weiterhin Maut-frei bleiben. Es sind dies in erster Linie Aufgaben von Regierungen, die ich hier anführe. Ein EVTZ könnte aber werbend, aufklärend und als Vermittler für die Regierungen tätig sein. Die Gründung müsste von der Bayerischen Staatsregierung und den Landesregierungen von Salzburg und Tirol erfolgen. Gespräche dazu wurden von mir bisher keine geführt. Die EUREGIO Inntal bietet im Rahmen ihrer Möglichkeiten gerne ihr Mitarbeit an.
Abschließende Bemerkungen zu meiner Person.: Persönlich liegt mir die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sehr am Herzen. Ich bin Traunstein geboren, in Siegsdorf aufgewachsen und als Jugendlicher oft in Salzburg gewesen. Ich habe bei der Bundeswehr 25 Monate gedient und bin mit dem Rang eines Lt. d. R. ausgeschieden. Ich kam für eine deutsche Firma beruflich nach Kufstein. Durch meine Tätigkeit für eine Firma mit Stammsitz im Saarland, konnte ich die besonders guten deutsch/französischen Beziehungen kennen lernen, die mit der Verbindung zu unseren bayerischen
Freunden vergleichbar ist. In meiner neuen Heimat Tirol wollte ich einen Betrag für die Gesellschaft leisten, dazu war die Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft erforderlich. Die angestrebte Doppel-Staatsbürgerschaft war nicht möglich. Ich verstehe mich zugleich als Bayer und Tiroler und als Europäer. Deshalb bin ich gerne für die Menschen in der EUREGIO Inntal tätig.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder! Bleiben Sie gesund.


Mit besten Grüßen
Walter J. Mayr
Präsident der EUREGIO Inntal

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